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Elektronischer Glitzer

Schon auf Lenas drittem Album “Stardust” (2012) konnte man hören, dass der Stefan-Raab-Sound endgültig in die Mottenkiste gepackt wurde. War das brünette Bühnen-Naturtalent damals aber noch deutlich von schmissigem Pop-Folk der Marke Mumford & Sons beeinflusst, haben sich die Sound-Koordinaten diesmal klar in Richtung Elektro- und modernem Synthie-Pop verschoben. Ihre Vorliebe für alles Englische spiegelt sich bei der fast 24 Jahre alten Sängerin nun nicht mehr in der Pflege eines etwas übertriebenen Fake-Akzents wider. Stattdessen holt sie sich einfach angesagte britische Songwriter und Produzenten ins Boot, um – wie es in einem Schreiben zum Album sehr treffend heißt – ein “funkelndes Glitzerwerk” zu erschaffen.

Was beim Hören von “Liquid Sky” zuerst auffällt, ist die veränderte Stimme. Diese wird diesmal in ein Meer von Hall und verdoppelten Spuren gebettet, was sich negativer anhört, als es gemeint ist. Natürlich schafft dieser voluminöse Sound auch eine gewisse Künstlichkeit und Distanz. Das ganze Album klingt sehr “produziert”. Und doch erschließt sich mit jedem Song, den man hört, immer mehr ein stimmiges Gesamtbild.

Obwohl auf den 14 Songs von “Crystal Sky” mindestens ein halbes Dutzend Produzenten tätig war, ergibt sich ein durchgängiges Gefühl sanfter elektronischer Pop-Melancholie. Es handelt sich um ziemlich bombastischen, aber in den Melodien durchaus grazil geführten Mainstream-Pop. Verantwortlich zeichnen dafür Songwriter und Produzenten wie BIFCO (Ellie Goulding, Kylie Minogue), Jonny Coffer (Emili Sandé), Matty Benbrook (Faithless) oder Ryan Marrone (Lady Gaga). Und ihre Lena hat nichts Provinzielles oder “Nachgemachtes” mehr, sie steht vielmehr für einfachen State-Of-The-Art-Radiopop elektronischer Spielart.

Man kann dies mögen oder ablehnen, die Produktionsqualität ist aber kaum zu überhören. Es sind sogar einige recht gute Songs auf dem vierten Album der ESC-Siegerin von 2010 zu finden (“The Girl”, “Keep On Living”, “Catapult”). Lena distanziert sich von jenen Mitsing-Brettern aus ihrer Stefan-Raab-Periode. Wichtiger waren ihr Songs, die unter dem Glitzergewand eine schöne Sensibilität offenbaren. Eine Feinfühligkeit, die in den besten Momenten an die wunderbare englische 80er-Avantgarde-Popband Cocteau Twins erinnert.

Die gebürtige Hannoveranerin hat sich im letzten halben Jahrzehnt deutlicher entwickelt, als es so mancher Kritiker ihrer manchmal etwas überkandidelten Aufgekratzheit erkennen will. Die Mittzwanzigerin ist reifer geworden. Auf ihren ESC-Sieg blickt sie heute dankbar, aber fast schon ein bisschen distanziert zurück. Dass ihr neues Album genauso von einem Mainstream-Popstar englischer oder amerikanischer Herkunft stammen könnte, mag man als unspektakulär oder langweilig empfinden. Im Falle Lenas, die an vielen Songs selbst mitschrieb, steckt in diesem sicher hart erarbeiteten Pop-Album aber auch eine Menge Emanzipation.


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